KINDLICHE TRAUER

„Wie ist das, wenn man tot ist?“
 Mit Kindern richtig über Sterben, Tod und den toten Körper reden
 
Immer noch weit verbreitet ist die Meinung, dass Kinder lange Zeit  keine konkreten Vorstellungen vom Tod haben. Aufgrund dieser fehlenden konkreten Vorstellungen wird ihnen auch die Angst vor dem Tod abgesprochen.
Tatsache ist aber, dass Kinder sich sehr viel früher, als allgemein angenommen wird, Gedanken über Tod und Sterben machen, auch wenn sie nicht direkt davon betroffen sind. Wenn Kinder über ihre Ängste und Vorstellungen nicht sprechen, muss das außerdem nicht heißen, dass sie keine Ängste und Vorstellungen haben.
 
Was Kinder lange Zeit nicht verstehen können, sind Dinge, die uns auch als Erwachsene an die Grenzen des Vorstellbaren bringen:

  • die Irreversibilität des Todes: der Tote kann nicht mehr lebendig werden
  • die Universalität: alle Lebewesen müssen sterben
  • die Unvorhersehbarkeit: jeder kann jederzeit sterben
  • die Unabwendbarkeit: alle Lebewesen sterben irgendwann einmal früher oder später, auch wenn man besonders vorsichtig ist, auch wenn der Arzt ein besonders guter ist.

Etwas über kindliche Vorstellungen zu wissen, ist wichtig, um angemessen reagieren zu können, um auf ihre Ängste und Phantasien eingehen zu können.
Die Realität des Todes und die Unumgänglichkeit lösen Ängste aus (bei Erwachsenen wie bei Kindern). Diese Ängste sind „normal“, weil uns allen der Tod sicher ist. Und sie gehören zum Leben wie der Tod selbst. Ein völlig angstfreier Umgang mit diesem Thema ist  unrealistisch.
Wollen wir unsere Kinder schützen, indem wir ihnen Dinge verheimlichen, verschleiern, verschönern oder nur die halbe Wahrheit erzählen, so verursachen unsere vermeintlich guten Absichten oft das Gegenteil.
 
Verweigern wir ihnen einen Abschied von einer verstorbenen Bezugsperson, weil wir beschließen, dass es besser ist, den Sarg verschlossen zu halten oder weil wir sie nicht zum Begräbnis mitnehmen, dann wird ein Abschied verunmöglicht, der für die Realisierung des Verlustes und für die Einleitung des Trauerprozesses wichtig ist. Kinder, die selber sterben müssen, wissen das meist, auch wenn die Umwelt dies vor ihnen zu verheimlichen versucht, um das Kind zu schonen.

Wo Fragen unbeantwortet bleiben oder falsch beantwortet werden, wird das, was unklar oder offen bleibt, durch Phantasie besetzt. Diese Phantasien sind allerdings oft schlimmer als die Realität und sie erzeugen unrealistische Ängste, vor allem natürlich in einer Atmosphäre, in der Unsicherheit, Unklarheit und Überforderung herrschen.

0 bis ca. 2 Jahre: der Tod als Abwesenheit und Verlust
Für Kinder zwischen 0 und 2 Jahren ist das unmittelbar Wahrgenommene und Empfundene wichtig. Sie leben im Moment und sind noch nicht in der Lage Zusammenhänge in der Welt zu verstehen. Sie haben noch weitgehend kein Verständnis für Ursache-Wirkungs-Ketten, für Kausalität also. Für so abstrakte Dinge wie eben Leben, Sterben und Tod oder den Körper (ob der nun tot oder lebendig ist) fehlt jegliche kognitive Voraussetzung.

Kinder entwickeln bis zum 3. Lebensjahr eine Vorstellung davon, dass sie eine Person sind, sie erkennen bereits im Säuglingsalter ihre primären Bezugspersonen und sie besetzen für sie wichtige Personen mit Sympathie oder Antipathie. Stirbt eine dem Kind bekannte Person oder eine Bezugsperson in dieser Zeitspanne, so wird der Tod als Abwesenheit begriffen, aber es wird nicht verstanden warum. Auch wenn der Tod hier nicht als Tod verstanden wird, bedeutet das, dass ein Verlust, ein plötzliches Verschwinden eine große Belastung für ein Kleinkind ist, zumal es ja nicht verstehen kann, warum jemand nicht mehr kommt.

Kinder zeigen auch in dieser frühen Phase Trauerreaktionen. Belastungsstörungen, Entwicklungsstörungen und -verzögerungen können also auftauchen, obwohl kein Verständnis für den Tod und seine Endgültigkeit da ist.
Zwischen 0 und 2 Jahren kann man also ganz allgemein sagen: Wichtig ist, dass im Krankheitsfall oder bei einem Verlust vertraute Bezugspersonen beim Kind sind. Ein geregelter Tagesablauf gibt Kontrolle und Sicherheit. Kontrolle und Sicherheit reduzieren Angstgefühle.

Das Umfeld sollte sensibel sein für Trauerreaktionen. Da Kinder Gefühle in dieser Zeit nicht verbalisieren können, ist es wichtig, besonders auf Auffälligkeiten im Verhalten zu achten.

Typische Trauerreaktionen wären: Appetitstörungen, Regressionen, Spielunlust, Apathie, Aggressivität, motorische Unruhe, Weinen, Schreien, Schlafstörungen, motorische Stereotypien, wie z.B. Kopfschaukeln.

ca. 3 bis ca. 7 Jahre: magische Phantasien und technische Fragen
Die Phase zwischen 3 und 7 Jahren ist in der denkerischen Entwicklung sehr spannend.

Im 3. Lebensjahr sind Kinder geistig dazu in der Lage, zu verstehen, dass es in der Welt gewisse Zusammenhänge gibt. Wir merken, dass die Kinder in diese Phase gekommen sind, wenn sie uns mit ihren Warum-Fragen löchern.
Eine Warum-Frage ist eine Frage nach der Ursache von etwas. Die Kinder beginnen die Welt in ihren kausalen Zusammenhängen verstehen zu wollen.
Sie sind in dieser Zeit besonders neugierig und wollen alles wissen und sie entwickeln sehr einfache und natürlich unrealistische Vorstellungen von dem, was „tot sein“ bedeutet.

Kinder, die selbst an einer schweren Erkrankung leiden, die zum Tode führt oder zum Tode führen kann, können hier natürlich in der Entwicklung weiter sein und schon früher ein Verständnis entwickeln, das man als gesundes Kind später entwickelt: In Bezug auf die Themen Sterben, Tod und Leichnam sind in diesem Alter (v.a. ab dem 5. Lebensjahr) zunächst einmal besonders alle technischen Fragen interessant:

  • Wie sieht ein Toter aus?
  • Wie ist das, wenn man tot ist?
  • Was passiert mit dem Toten? Warum muss er in einen Sarg?
  • Warum müssen wir einen Toten beerdigen oder verbrennen?
  • Wie schwer ist der Sarg?
  • Wie tief ist das Loch?
  • Wie funktioniert der Verbrennungsofen? etc.

Diese Fragen sind auf die kindliche Neugierde zurückzuführen, auf das Verstehen-Wollen wie die Welt funktioniert. Diese Fragen schaffen natürlich auch Orientierung in einem etwas gruseligen Themenbereich. Oft können Erwachsene schon die einfachsten dieser Fragen nicht beantworten, weil sie sich diese Fragen selber noch nie gestellt haben, weil man eben nicht gerne nachdenkt oder nachliest über so ein Thema. Ich wette aber, dass spätestens bei der Frage Warum muss der Tote in einen Sarg?, die meisten Erwachsenen überfordert sind. Erstens drängt sich einmal die Frage auf: Muss der Tote wirklich in einen Sarg? Und zweitens geht diese Frage schon sehr in Richtung der nächsten: Warum müssen wir einen Toten beerdigen oder verbrennen? Und über Verwesung zu sprechen mit einem z.B. 5-Jährigen ist nicht so angenehm.

Auch wenn wir uns bemühen, alle Fragen richtig und so kindgerecht realistisch wie möglich zu beantworten, können wir nicht immer verhindern, dass sich im Kopf eines Kindes Phantasie mit Realität mischt. Es sind die Defizite im Wissen und in der geistigen Reife, die ein tatsächliches Verstehen der Zusammenhänge oft verhindern.

Man nennt dieses Phänomen „magisches Denken“. Diese magischen Vorstellungen können durchaus „nett“ sein: Z.B. meinen Kinder oft, dass die Sonne untergeht und es dunkel wird, damit die Menschen und Tiere schlafen können oder dass der Mond scheint, damit der Zeitungsausträger doch ein bisschen etwas sieht.

Gerade bei Erkrankungen oder Todesfällen oder wenn sich Kinder die Funktionen des Körpers vorstellen, dann können solche falschenVorstellungen aber mehr Angst erzeugen, als man glaubt.

In Bezug auf den toten Körper, auf den Leichnam, gibt es auch typische Vorstellungen magischer Art: Kinder können ab dem 4. Lebensjahr zwar schon verstehen, dass der Tod das Stoppen aller Vitalfunktionen bedeutet, dass also der Organismus nicht mehr funktioniert. Da sie aber die Endgültigkeit des Todes nicht begreifen können (eine Vorstellung, die ja selbst uns Erwachsenen schwer fällt), stellen sie sich den Leichnam zwar tot vor, aber eben doch nicht ganz:

Es kann dann sein, dass der Tote Langeweile hat, dass er Hunger hat, dass er Angst hat etc. Er existiert also weiter als Person. Für Kinder, die selbst sterben müssen, heißt das, dass sie unter Umständen große Ängste auszustehen haben. Körperlich tot zu sein, aber doch nicht ganz, bedeutet für sie, alleine in einem Sarg zu liegen und tatsächlich ist die Hauptangst von Kindern in Bezug auf den Tod die Vorstellung, alleine und getrennt von den Eltern sein zu müssen. Schwer kranke oder sterbende Kinder haben zumeist schon viele Abschiede nehmen müssen, weil viele den Kontakt zu ihnen abgebrochen haben. Sie sind schon viele „soziale Tode“ gestorben. Der endgültige Tod bedeutet für sie die totale Getrenntheit von Eltern, Angehörigen und letzten verbliebenen Freunden.

Bei Kindern, die einen Angehörigen verlieren, können (die in diesem Alter sehr weit verbreiteten) Gespensterphantasien auftauchen, vor allem, weil in diesem Alter Krankheit und Tod sehr häufig auch mit Phantasien von Schuld und Strafe verbunden sind: Mein Bruder musste sterben, weil ich ihm den Tod gewünscht hab. Ich bin schwer krank, weil ich nicht immer brav war. Etc.

Magisches Denken können wir nicht immer verhindern, weil wir nicht immer herausbekommen werden, was sich in den Köpfen unserer Kinder abspielt.
Mitunter können falsche magische Vorstellungen sogar beruhigend sein, dann muss man sie auch nicht unbedingt korrigieren. Mitunter können sie aber unrealistische Ängste auslösen.

Wichtig wäre es zunächst einmal, genau hinzuhören, was Kinder in Bezug auf Sterben und Tod erzählen, und zu fragen bzw. genau hinzusehen, was sie dazu zeichnen oder wie sie diese Themen spielerisch umsetzen. Wenn Fragen auftauchen, vor allem solche, die wir vielleicht selber nicht so genau beantworten können, ist es sinnvoll, einmal nachzufragen, wie sich das Kind selbst das vorstellt. Kinder haben ja bereits Hypothesen, wenn sie Fragen stellen, und aufbauend auf ihre Vorstellungen kann man krasse Phantasien korrigieren und ein realistischeres Bild zeichnen, das Ängste minimiert. Dass die Angst vor dem Tod nicht völlig genommen oder verhindert werden kann, weil der Tod nun mal in seiner Endgültigkeit irgendwann uns alle trifft, muss dabei klar sein.

Wenn Kinder also Fragen stellen in Bezug auf Sterben, Tod oder den toten Körper, müssen wir besonders vorsichtig sein.

„Der Tod ist eine Art tiefer Schlaf“
Die Absicht hinter einer solchen Erklärung ist es, zu vermitteln, dass jemand nun Ruhe hat oder sich ausrasten darf. Für Kinder, gerade für kranke Kinder, kann dies aber bedeuten, dass sie nun den Schlaf fürchten, weil sie Angst haben nicht mehr aufzuwachen.

„Wir müssen sterben, um auf der Welt Platz zu schaffen.“
Diese Erklärung kann zu Schuldgefühlen beim Kind führen. Das Kind kann sich dann als schuldig für den Tod einer anderen Person fühlen. Ganz krass wird es natürlich, wenn ein anderes Kind stirbt: Für wen muss es Platz machen? Oder wenn das Kind selber sterben muss: Für wen muss ich Platz machen und warum?

„Der Tod ist eine lange Reise.“
Dieser Vergleich ist nicht hilfreich, weil er impliziert, dass der Reisende wieder zurückkehren kann. Das kann entweder falsche Hoffnungen wecken oder sogar Widergänger- bzw. Gespensterängste provozieren.

Auch Antworten, die einen Himmel versprechen, in dem alles gut und „alles Party“ ist, sind nicht unbedingt hilfreich. Dieses Versprechen steht in krassem Widerspruch zu den allgemein zu beobachtenden Reaktionen auf Sterben und Tod. Wenn es einen Himmel gibt, warum sind dann alle so traurig? Woher soll man wissen, wie es im Himmel ist, wenn doch niemand jemals dort war? Etc.

Wichtig ist, das zu vermitteln, was man selber glaubt. Und wenn man sich nicht sicher ist, was danach kommt bzw. ob überhaupt etwas kommt, so kann man das einem Kind sehr wohl vermitteln und auch zumuten.

Typisch für das magische Denken ist auch, dass Kinder unsere symbolische Sprache als realistisch wahrnehmen: Ohrringe „schießen“ habe ich sehr wörtlich genommen. Wenn erschrockene Erwachsene davon sprechen, dass ihnen das Herz in die Hose gerutscht ist oder dass sie die Nerven weggeschmissen haben, dann sind Kinder nicht in der Lage den symbolischen Charakter dieser Aussagen zu verstehen. Sie nehmen diese Sätze wörtlich. In Bezug auf Sterben und Tod arbeiten wir mit Bildern und Metaphern, die entweder einen stark euphemistischen, d.h. verschönernden bzw. verschleiernden Charakter haben oder schwarzhumorig bis pietätlos sind.

Beispiele für euphemistische Formulierungen:
Er ist entschlafen. Er ist von uns gegangen. Er ist hinübergegangen. Er ist auf seine letzte große Reise gegangen. Etc.

Beispiele für schwarzhumorige oder pietätlose Formulierungen:
Er zieht den Holzfrack an. Er sieht die Radieschen nun von unten. Er ist in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Er hat sein letztes Hemd angezogen. Er hat ins Gras gebissen. Er hat den Löffel abgegeben. Etc.

Auch wenn man also auf die Symbolik der eigenen Sprache achtet und weiß, dass Kinder vieles zu wörtlich nehmen, kann man falsche und Angst machende Vorstellungen verhindern. Wenn man solche Formulierungen verwendet, sollte man klar sagen, was sie bedeuten. Wenn man allerdings einem Kind die Nachricht überbringen muss, dass ein Angehöriger oder Freund verstorben ist, sollte man dies mit klaren Worten tun, damit das Kind realisieren kann, was passiert ist: Er ist tot oder er ist gestorben klingt hart, es ist aber so. Beschönigende Formulierungen werden nicht begriffen.


ca. 7 bis ca. 11 Jahre: realistisches Begreifen gepaart mit magischem Denken
In der Phase zwischen ca. 7 und ca. 11 Jahren können grundlegende Körperfunktionen und Krankheitsprozesse „halbwegs richtig“ verstanden werden. Krankheit und Sterben können jetzt auch als Prozess verstanden werden, das heißt:

Krankheit kann ausbrechen, bevor die ersten Anzeichen spürbar werden und das Abklingen der Symptome bedeutet nicht unbedingt, dass man wieder gesund ist. In dieser Phase sind Kinder natürlich besonders sensibel für hypochondrische Ängste. Der Tod wird nun als etwas Endgültiges begriffen, und es wird den Kindern klar, dass alle Lebewesen sterben müssen, wobei die eigene Sterblichkeit gesunden Kindern oft noch nicht bewusst ist. Wenn die Universalität des Todes begriffen wird, können Ängste den Tod der Eltern betreffend auftauchen. Wenn solche Ängste entstehen, sollten sie nicht abgetan werden, indem man beschwichtigend erklärt, dass das noch lange dauern wird. Die Ängste sollen ernst genommen und ernsthaft beantwortet werden: Es ist hier wichtig anzusprechen, dass das sehr traurig und schwer wäre, und zu erklären, wer im Falle für das Kind sorgen würde. Für das Kind kann es hilfreich sein, dies schriftlich festzuhalten. „Technische“ Fragen sind in dieser Phase natürlich nach wie vor interessant.

Neben einem realistischen Verständnis bleiben aber häufig magische Vorstellungen bestehen, weswegen es weiterhin notwenig ist, genau hinzuhören und für die Ängste und Phantasien der Kinder sensibel zu sein.

ab 12. Lebensjahr: Fähigkeit zum Verstehen abstrakter und komplexer Prozesse neben magischem Denken

An und für sich sind Kinder ab dem 12. Lebensjahr dazu in der Lage, komplexe Prozesse und abstrakte Phänomene zu begreifen. Sie können jetzt zum Beispiel Körperfunktionen und Krankheitsprozesse realistisch verstehen. Im Verständnis von Tod, Sterben und dem Leichnam ist allerdings anzunehmen, dass die Tabuisierung des Themas in unserer Gesellschaft realistische Vorstellungen auch bis ins Erwachsenenalter blockiert bzw. unmöglich macht. Magische Vorstellungen und Mythen rund um diese Themen sind auch bei Erwachsenen weit verbreitet und machen ihnen unnötig Angst: Man denke an Uhren, die angeblich stehen bleiben, an Blumen, die dann plötzlich welken, wenn ein Mensch stirbt. Man denke an Erscheinungen von Verstorbenen oder Sterbenden, an Stimmen, die gehört werden, im Augenblick des Versterbens einer Person oder an den weit verbreiteten Mythos, dass Leichen giftig sind, weil sie Leichengift absondern oder ausdünsten.

Abschied und Trauer Gefühle der Trauer ansprechen und erlauben

Wichtig ist es natürlich auch, dass wir nicht nur versuchen, die Phantasien von Kindern zu erfragen und zu besprechen, sondern dass wir auch über ihre Gefühle sprechen. Wenn jemand stirbt oder sterben wird, entstehen Gefühle der Trauer. Dabei bleibt es nicht beim Traurigsein alleine: Trauergefühle treten meist in Verbindung mit Angst, Wut, Verzweiflung und Schuldgefühlen auf.
Auch Gefühle der Erleichterung können mit dabei sein. Kinder zeigen meist auch kein durchgängiges Trauerverhalten, sie können durchaus streckenweise „vergessen“ und fröhlich sein. Trauer ist ein Wechselbad der Gefühle, das für Erwachsene schon schwierig genug ist. Es ist wichtig, mit Kindern diese Gefühle zu besprechen und auch zu erklären, dass Wut normal ist und dass man wütend sein darf. Kinder müssen keine Schuldgefühle entwickeln, wenn sie neben der Trauer, um das verlorene Geschwisterkind gleichzeitig auch Erleichterung spüren, weil die für alle belastende Zeit des Sterbens vorbei ist und weil die Eltern nun wieder mehr Zeit haben. Man muss ihnen aber erklären, dass auch Gefühle der Erleichterung und Freude im Trauern möglich und gut sind.

Nicht sinnvoll ist es, eine Atmosphäre zu schaffen, in der diese Gefühle nicht gezeigt oder nicht gefühlt werden dürfen. Das ist durchaus gängige Praxis: Wir neigen dazu, Gefühle zu unterdrücken, weil wir sie als Schwächen verstehen. Wir meinen, dass es jemandem gut geht, wenn er sich gut im Griff hat. Und wir meinen auch, dass Kinder, die nicht weinen oder nicht vom Verstorbenen sprechen, alles gut bewältigt haben. Wir sind auch froh, wenn Gefühle nicht gezeigt werden, weil wir Trauer, Wut, Schmerz, Verzweiflung usw. nur schwer aushalten und uns überfordert und ohnmächtig fühlen. Tatsächlich ist es aber häufig so, dass Trauer blockiert wird und einen pathologischen Verlauf nimmt, wenn sie nicht gezeigt wird oder geäußert werden darf. Der Verlust kann hier nicht verarbeitet werden. Verzögerte oder verschobene Trauerreaktionen können auftreten bzw. verzögerte Belastungsreaktionen und psychische und/oder auch körperliche Störungen können die Folge sein.


Persönlich Abschied nehmen
Wir müssen uns auch fragen, ob die heute gängigen Formen des Abschieds vom Verstorbenen wirklich hilfreich sind. Wir glauben, dass wir uns schonen müssen, dass wir uns den Tod nicht zumuten können; unseren Kindern schon gar nicht. Der Tote wird so schnell wie möglich abtransportiert und bleibt dann im verschlossenen Sarg. Viele werden heute selber alt, ohne einen Toten gesehen zu haben. Der Tote im Sarg, von dem wir sagen, wir würden ihn lieber so in Erinnerung behalten, wie er im Leben war, löst schreckliche Phantasien aus. Wie er wohl aussieht, wenn wir ihn besser so in Erinnerung behalten, wie er im Leben war? Wie er sich wohl anfühlt, wie er riecht? Das, was da im Sarg liegt, das kann man sich ja auf keinem Fall zumuten und einem Kind schon gar nicht! Was Kinder sich wohl vorstellen, wenn man von dem toten Körper, von der Leiche redet, die da verschlossen im Sarg liegt? - Ein Monster.
Verabschieden wir uns von den Toten persönlich, bleiben uns diese Phantasien erspart und damit auch unrealistische Ängste, die zu den realistischen hinzukommen. Schuldgefühle gegenüber dem Verstorbenen können damit auch reduziert oder verhindert werden, weil wir uns sagen können, dass wir uns angemessen und liebevoll von ihm verabschiedet haben. Der persönliche Abschied vom Toten ermöglicht es auch, die Realität des Todes zu begreifen - und zwar kognitiv und emotional. Dieses Begreifen der Realität des Todes ermöglicht aber die Initialisierung des Trauerprozesses, der zwar ein schwerer, aber ein heilsamer Prozess ist. Trauer beginnt mit der Realisierung des Todes, des Verlusts und führt über eine Vielzahl psychischer Reaktionen hin zu einer Akzeptanz des Verlusts und einer allmählichen Hinwendung zu einem neuen Lebensabschnitt. Wird die kognitive und/oder emotionale Realisierung des Todes, des Verlusts verzögert oder blockiert, wird auch der Trauerprozess erschwert oder blockiert. Bei Erwachsenen wie bei Kindern.

Es gibt kein plausibles Argument Kinder von verstorbenen Bezugspersonen fern zu halten, es sei denn der Leichnam ist entstellt oder verstümmelt. Durch Verletzungen verstümmelte oder entstellte Verstorbene können allerdings von ThanatopraktikerInnen restauriert und hygienisch versorgt werden, so dass ein Abschied für Kinder und Erwachsene gut möglich wird.

Dr. Christine Pernlochner-Kügler